Shared Custody
08.06.2025

Was wäre, wenn ein Kunstwerk nicht einer/m einzelnen Künstler:in, einer Institution oder einer/m Sammler:in gehören würde, sondern vielen? Shared Custody ist eine spekulative kuratorische Untersuchung von kollektivem Eigentum als künstlerische und politische Strategie. Ausgehend von meiner Dissertation The Ignorant Curator untersucht das Projekt, wie Mitautorschaft - ob rechtlich, symbolisch oder konzeptionell - dazu dienen könnte, kulturelle Autorität zu dezentralisieren, künstlerische Handlungsfähigkeit neu zu verteilen und dominante Narrative der Autorschaft zu erschüttern.

Eigentum wird hier nicht als fixer Endpunkt betrachtet, sondern als ein fließender Prozess: eine Reihe von Verhandlungen, Verantwortlichkeiten und Zugehörigkeiten, die sich über Zeit und Kontexte hinweg entfalten. Das Projekt baut auf der Kritik an singulärer Autorschaft und institutioneller Neutralität auf und bezieht Theoretiker:innen wie Jacques Rancière, Sara Ahmed und Roland Barthes mit ein, um die Rolle des Kurators nicht als Experte, sondern als Vermittler gemeinsamer Bedeutung neu zu überdenken. Rancières Konzept der intellektuellen Gleichheit bietet ein Modell für die kuratorische Praxis, das auf Bescheidenheit beruht - anleitend, aber einladend; nicht beherrschend, sondern mitforschend. Der Titel meiner Forschungsarbeit The Ignorant Curator verweist auf diese Position des bewussten Nichtwissens und schlägt ein Modell der Kulturarbeit vor, das sich der epistemischen Dominanz widersetzt.
Sara Ahmeds Schriften über Beschwerde, Orientierung und institutioneller Friktion bieten einen Rahmen für das Verständnis, wie Strukturen von Wissen und Eigentum empfunden, verkörpert und angefochten werden. Ihre Arbeit rückt die emotionale Arbeit und die Politik der Verweigerung in den Vordergrund, um sich vorzustellen, wie kollektives Sorgerecht nicht nur rechtlich, sondern auch effektiv und ethisch funktionieren könnte. In der Zwischenzeit unterstützt Roland Barthes Demontage der Autorität in Der Tod des Autors (1967) eine Verschiebung in Richtung Rezeption und Leserschaft als generative und nicht als passive Formen der Auseinandersetzung. Diese Perspektiven konvergieren in der gemeinsamen Überzeugung, dass Bedeutung nicht Eigentum ist, sondern ko-konstruiert wird.

Illustration: Beispiel für Phantasiedrechseln, ausgeführt auf der Hand- oder Fußdrehbank, 1869, Edward J. Woolsey. Aus der Sammlung des Philadelphia Museum of Art.

Das Projekt wird eine klare stilistische Lösung haben, bei der die Illustration zusammen mit dem Text die Form eines großen Plakats annimmt, ähnlich den Schulplakaten, die zwischen den 1930er und 1980er Jahren als Unterrichtsmaterial produziert wurden. Die Fläche des Plakats wird in verschiedene Abschnitte unterteilt sein, die mit Hilfe von Text über spezifische soziale Phänomene berichten und verschiedene Situationen zeigen, die mit ihnen in Zusammenhang stehen.
Diese Forschung geht von allgemeineren Fragen aus: Wie wird Kunst besessen, von wem und zu welchen Zwecken? Wenn Autorenschaft immer schon plural ist, wie können wir dann Rahmen schaffen, die diese Pluralität sichtbar machen? Und wie könnte das Eigentum selbst zu einer Plattform für Verantwortlichkeit statt für Ausgrenzung werden?
Während der gesamten Residenz werde ich untersuchen, wie künstlerische und kuratorische Praktiken die Eigentumsstrukturen neu gestalten könnten. Die Spekulationen werden bewusst offen gehalten und hybride Formen der kollektiven Verwahrung über rechtliche, symbolische, digitale und affektive Dimensionen hinweg in Betracht gezogen. Dabei kann es sich um intelligente Verträge, gemeinsame Rituale, konzeptionelle Gesten oder informelle Vereinbarungen handeln, die jeweils unterschiedliche Arten der Beziehung zur Kunst als gemeinsames Anliegen widerspiegeln.
Shared Custody ist keine Blaupause, sondern ein Vorschlag: eine Einladung, darüber nachzudenken, wie wir anders mit Kunst leben könnten, nicht als Eigentum, das es zu besitzen gilt, sondern als Prozess, den wir teilen.

Clara Donadoni