Der rote Faden/
Красная нить
06.03.2024

Varvara Sudnik: "Jetzt, da meine Residency virtuell geworden ist, bleibt der Ort, an dem ich arbeite, der gleiche - die Ecken meines Hauses. Ich "lebe" also weiterhin die künsterische Forschung, der ich das Projekt widmen möchte.

In dieser geht es darum, wie Armut und die prekären Bedingungen der künstlerischen Arbeit mit familiären Bindungen verknüpft sind und sich auf Häuslichkeit, Geborgenheit und Tiefe auswirken. Im künstlerischen Umfeld taucht das Wort "Familie" in Projekten über Erinnerung und Herkunft auf, die Familie selbst wird aber nicht zu den Künstlerresidency Programmen eingeladen. Deren Bedingungen lassen nur "Kollektive" oder "Duos" zu, also Einzelpersonen, die als nützlich für die Institution erachtet werden und die "Produktion" erhöhen. Förderungen werden vor allem an künstlerische Projekte vergeben, die sich mit sozialen Ungleichheiten befassen und den Austausch im kulturellen Bereich schaffen wollen. Die Mittel reichen jedoch nicht aus, um die Grundbedürfnisse der Künstler:innen selbst zu befriedigen, was sie verwundbar und unfähig macht, dauerhafte Beziehungen zu knüpfen, da sie sich ständig bewegen müssen, z. B. auf der Suche nach Arbeit oder Wohnraum außerhalb des eigenen Landes. Kulturinstitutionen bieten minimale Entschädigungen, weigern sich, Familienmitglieder aufzunehmen, und verlangen die Herstellung eines Endprodukts innerhalb eines kurzen Zeitrahmens. In Gesprächen mit Kolleg:innen und Freunden aus verschiedenen Kulturkreisen geht es zunehmend um Knappheit der Ressourcen im Allgemeinen und um "Träume", in denen die Grundbedürfnisse endlich erfüllt werden.
In der virtuellen Residency von InSILo beschreibe ich einerseits die ständige Erfahrung der Prekarität, die Strategien zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts mit - und gleichzeitig die Abhängigkeit von -häuslichen Verpflichtungen sowie von gewachsenen Familien- und Freundschaften, die sich oft als wertvoller erweisen als die flüchtigen künstlerischen Gelegenheiten.
Ich möchte offen sagen, dass Stabilität und Tiefe von entscheidender Bedeutung sind, während ich mich in einer verletzlichen Position befinde und ständig auf der Suche danach bin. Auf der anderen Seite erforsche ich Strategien der Veränderung und stelle mir Mechanismen vor, die die bestehende Ordnung stören könnten, in der Künstler als Schutzschilde fungieren und von denen erwartet wird, dass sie die soziale Ordnung für ein geringes Entgelt umgestalten.
Während der virtuellen Residenz werde ich eine dreiteilige Stickerei entwerfen, die durch einen "roten Faden" (sowohl wörtlich als auch metaphorisch) verbunden ist, der zum Titel des Projekts wird (Bel: "Красная нить") und die Frage aufwirft, ob es einen Platz für die so genannte "Work-Life-Balance" in der künstlerischen Produktion gibt?