Art apparatus and the technology of a (fruit fly) encounter
27.02.2023

Westliche Kunst wird traditionell als ein Werkzeug zur Repräsentation angesehen, um Objekte, Phänomene und Sachverhalte zu reflektieren, die in der Welt oder in der menschlichen Psyche, dem Geist und der Seele von Einzelpersonen oder Gesellschaften existieren. Gleichzeitig betrachtet die westliche Kulturtradition alle Repräsentationen – Bilder, Skulpturen, Diagramme, Textbeschreibungen usw. – als zweitrangig zur primären Realität der Objekte oder Situationen, die sie darstellen. Repräsentationen spiegeln zwar die Realität wider, können sie aber nicht direkt beeinflussen; Objekte und ihre Repräsentationen existieren unabhängig voneinander. Diese Auffassung widerspricht der sehr realen Macht, die Kunstwerke in unserem Leben haben; denn sie formen unsere persönliche Geschichte, soziale Interaktionen, politische und kulturelle Realitäten und letztendlich die kollektive Wahrnehmung des Schicksals der Menschheit und ihres Platzes im Universum.

Die Metaphysik des Repräsentationalismus basiert auf den klassischen mechanischen Naturbeschreibungen wie der Newtonschen Physik. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts führten Entdeckungen in mehreren neuen Wissenschaftszweigen wie der Quantenmechanik zu einer dramatischen Veränderung unseres Verständnisses der Art und Weise, wie Menschen mit der Welt interagieren. Der scheinbar einfache und passive Akt der Beobachtung wird nun als komplexe physische Begegnung zwischen dem Beobachter und den beobachteten Objekten oder Phänomenen verstanden, vermittelt durch von Menschenhand geschaffene Werkzeuge. Beispielsweise erzeugt in Quantenexperimenten ein speziell entworfener Apparat eine Version der Realität aus zwei oder mehr Möglichkeiten (z. B. Licht, das sich als Welle oder als Ansammlung von Teilchen manifestiert). Dies deutet darauf hin, dass das Universum keine Ansammlung unabhängig voneinander existierender Objekte ist, sondern ein komplexes Netzwerk von Beziehungsphänomenen, in dem Menschen und Nichtmenschen in wechselseitige Betrachtung verwickelt sind und dabei eine bestimmte Realität verwirklichen.
Ich glaube, Kunstwerke sollten auf ähnliche Weise gesehen werden: nicht als passive Repräsentationen unabhängig existierender Phänomene, sondern als Apparate, die aktiv Begegnungen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren vermitteln und unterschiedliche Versionen der Realität erzeugen. Ich werde mich auf theoretische Schriften von Donna Haraway, Karen Barad und Ian Hacking sowie auf die Praxis der Laborforschung in Experimentalphysik und Biowissenschaften stützen, um einen konzeptionellen Rahmen und ein physikalisches Modell eines Kunstapparats zu entwickeln: ein skulpturales/bildhaftes Gerät, das die menschliche Interaktion mit der Welt vermittelt, und so an an der Erschaffung der Realität teilnimmt. Thematisch bewegt sich mein neues Werk an der Grenze zwischen einem Mechanismus und einem lebenden Organismus. Wer oder was gilt als lebendig und ist sich seiner Existenz bewusst? Wo ziehen wir die Grenze zwischen menschlichem und nichtmenschlichem Bewusstsein? Kann man eine solche Grenze ziehen? Meine Forschung nutzt eine Vielzahl historischer und zeitgenössischer Quellen: Experimente mit gentechnisch veränderten Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster), Dokumentation von Hunden in Pawlowscher Konditionierung, Fotografien von sowjetischen Athleten, die an Gruppenübungen teilnehmen, Schemata früher analoger Computer und andere.
Das fertige Kunstwerk wird eine skulpturale Installation aus gemalten, gedruckten und gestickten Bildern sein, die die Grauzone abbildet, in der mechanischen und organische Strukturen austauschbar werden.
Es wird die utopischen und dystopischen Konsequenzen der Mechanismus-/ Organismus-Integration untersuchen: ihr Potenzial, fühlende Wesen in sinnlose Automaten zu verwandeln und sie gleichzeitig von ihren biologischen Einschränkungen zu befreien, indem sie flügellosen Kreaturen die Fähigkeit zum Fliegen verleihen.
Ich nutze die Residency, um mich mit langsamen, zeitintensiven Praktiken der Handstickerei und Fruchtfliegenzucht zu beschäftigen. Drosophila gilt als perfekter Modellorganismus und liefert die Grundlage für unser Verständnis der Genetik. Die Beziehung zwischen Drosophila und menschlichen Genen ist so eng, dass die Fliege in der Erforschung der meisten menschlichen Krankheiten eingesetzt wird, von Krebs bis hin zu psychischen Störungen. Paradoxerweise werden die Fliegen, obwohl sie als guten biologischen Annäherung an den Menschen dienen, immer noch als winzige Roboter angesehen, denen es an Kognition oder Gefühlen mangelt, was alle ethischen Erwägungen aus ihrer Verwendung im Labor negiert. Ich möchte diesen logischen und ethischen Fehlschluss anhand einer Reihe von Interaktionsexperimenten zwischen Mensch und Fliege untersuchen. Unter Verwendung von Fliegenbeständen des Vienna Drosophila Resource Center kombiniere ich konventionelle Methoden der Drosophila-Aufzucht mit technisch unnötigen und möglicherweise absurden Bemühungen, die Fliege zu vermenschlichen, baue skulpturale Elemente für ihren Lebensraum und versorge sie mit Umgebungen und Requisiten für die Interaktion, wie z. B. Seiten aus T. H. Morgans wegweisender Arbeiten zur Drosophila-Genetik. Durch diese und andere Begegnungen bekomme ich einen intimeren Blick auf die Drosophila jenseits ihrer nützlichen Rolle in der biologischen Forschung: als unabhängige Art mit eigenen evolutionären Zielen und als Miniaturmodell einer Gesellschaft, die von einer mächtigen, unbekannten Autoritätsfigur regiert wird – als die ein Mensch einer Fruchtfliegenkolonie erscheinen muss. Die Ergebnisse der Experimente und Fragmente des Drosophila-Genoms werden in handgefertigte Stickereien und einen Experimentalfilm eingearbeitet – die Fragmente des zukünftigen Kunstapparats Mensch/Fliege.