Aller Unsinn hebt sich auf
Während seines Aufenthalts Künstler und Autor Bernhard Kathan an seiner Klanginstallation „Aller Unsinn hebt sich auf“, die während der Tage der offenen Ateliers vom 16.-17. Oktober präsentiert wird. Das Stück ist Daniel Paul Schreber (1842 - 1911) gewidmet, der dank seines Buches „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ als prominentester Fall in der Geschichte der Psychiatrie gilt. Sigmund Freud, C.G. Jung, Elias Canetti, Jacques Lacan, Gilles Deleuze, Félix Guattari und andere beschäftigten sich mit seiner bizarren Bildsprache.
Kathan rekontextualisiert Schrebers Denkwürdigkeiten und enthüllt mit Hilfe von Klang und Grafik Bedeutungen im Chaotischen. Indem er sich weigert, Schreber als „Fall“ anzusehen, weist er darauf hin, dass der Patient, um seinen Ärzten dienlich zu sein, absichtlich alle Anzeichen hervorgebracht hat, die von ihm erwartet wurden.
Daniel Paul Schreber (1842 – 1911) gilt dank seines Buches „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ als prominentester Fall der Psychiatriegeschichte. Neben vielen anderen haben sich Sigmund Freud, C.G. Jung, Elias Canetti, Jacques Lacan, Gilles Deleuze und Félix Guattari mit seinen absonderlichen Bildern beschäftigt. Immer blieb er Fall, ein Verrückter eben. Dabei brechen sich in seinen „Wahnvorstellungen“ ganz konkrete, durchwegs gewalttätige Anstaltserfahrungen. Auffallenderweise wurde dies bis in die jüngste Vergangenheit in den meisten Deutungen, die sich zum größten Teil Psychiatern verdanken, ausgeblendet. In den Anstalten befand er sich tatsächlich in „weltordnungswidrigen Verhältnissen.“ Die von Schreber skizzierte Theologie – er dachte ja, zu einer Frau geworden, würde er, von Gott begattet, neues Menschengeschlecht hervorbringen – erweist sich bei genauerer Lektüre als sehr diesseitig. Er hat den Ärzten, die ihn behandelten, Masken seiner beiden Götter aufgesetzt. Gott kenne den lebenden Menschen nur in seiner äußeren Erscheinung, sein Innenleben, also seine wirklichen Gedanken und Gefühle, sei ihm völlig unbekannt. Er sei unfähig, den Menschen als lebenden Organismus zu verstehen. Er brauche den lebenden Menschen nicht zu kennen, da er nur mit Leichen verkehre.
illustration: Berhard Kathan
Sich auf Schreber einlassen, das hätte für die Ärzte bedeutet, den sicheren Boden der naturwissenschaftlichen Medizin zu verlassen. Einfacher war es, Schreber als Fall unter Fällen, seine absonderlichen Bilder als Ausdruck einer organischen Störung zu betrachten und ihnen jede Bedeutung, jede menschliche Erfahrung abzusprechen. In seinen Denkwürdigkeiten versuchte Schreber die Deutungshoheit über die von ihm gemachten Erfahrungen wieder zu gewinnen. Üblicherweise denkt man, Ärzte seien darum bemüht, die Kranken zu verstehen. Schrebers Geschichte lehrt uns etwas anderes: Tatsächlich sind die Kranken angehalten, die behandelnden Ärzte zu verstehen. Und so produzierte denn auch Schreber die von ihm erwarteten Zeichen. Schrebers Ende macht deutlich, dass sich die ärztlichen Götter nur Leichen ohne Gefahr zu nähern vermögen. Für sie war mit seinem Tod die Welt wieder in Ordnung. Nun ließ sich zählen, messen, was dem ausführlichen Sektionsbefund zu entnehmen ist. All das Zählen und Messen brachte nichts zutage, was für Schrebers Leidensgeschichte von Bedeutung gewesen wäre. Das Sektionsprotokoll bestätigt einzig seine gelungene und endgültige Zurichtung als Patient.